Finanzbildung für alle

Was Finanzbildung mit Politik zu tun hat und warum es wichtig bleibt, Verantwortung für weniger privilegierte Gruppen zu übernehmen.

Habt Ihr euch schon einmal gefragt, welche Zielgruppen in den neuen Female Finance Angeboten angesprochen werden? Es sind nicht gerade Frauen, die von finanzieller Not betroffen sind. Auf Social Media macht sich eine Art Goldgräberstimmung breit, alle wollen ein Stück vom Kuchen abbekommen. Finanzbildungsangebote, Coachings, Mentoring Programme, Frauenfinanzberatung: sie haben den Markt für spezielle Angebote für Frauen entdeckt. Leider werden Strukturaspekte häufig außer Acht gelassen. Dadurch werden gesellschaftliche Probleme individualisiert und den Frauen erneut eine Schippe an Eigenverantwortung auferlegt.

 

Ein Kind zu bekommen, aktiviert in Deutschland das Armutsrisiko

 

Manchmal beschleicht mich der Gedanke, es ist alles gesagt. Nach über zehn Jahren in der finanziellen und sozioökonomischen Bildung, ist das nicht verwunderlich. Ich arbeite mit verschiedenen Zielgruppen, etwa Fachkräften Multiplikatoren, Eltern, Wiedereinsteigerinnen, Frauennetzwerken oder weniger privilegierten Jugendlichen. Dabei wurde meine Arbeit von Jahr zu Jahr politischer.

Foto: unsplash

Die Bestseller Autorin Alexandra Zykunov, hat in einem lesenswerten Beitrag auf dem Blog von Was verdient die Frau darüber resümiert, warum viele Frauenfinanztips an so vielen Frauen total vorbeischießen. Sie hat die Zusammenhänge aufgefächert, die für Frauen zu einer existenziellen Frage werden können, wenn sie Verantwortung in Familien übernehmen.

 

Die Entscheidung für ein Kind birgt, so der achte Familienbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2012, ein biografisches Risiko. Dieses Risiko wurde zur Ausgangsfrage meiner soziologischen Studie zum Zusammenhang von  Geld und Lebensgeschichte. Die Bertelsmann Stiftung hat die Lücken im Lebenserwerbseinkommen von Frauen  errechnet. Ich wollte dazu bloggen – doch reichte es, als die Studie im Juni 2020 herauskam, nur für kurze Posts auf Instagram und LinkedIn. Denn nach über zehn Jahren gleichzeitiger Erziehungs- und Pflegeverantwortung hatten wir einen neuen Pflegefall in der Familie. Wieder mussten wir uns Strukturen schaffen, um gut mit der Situation umzugehen, ohne in der Überforderung zu landen, uns in Resignation zu ergeben oder die eigene Gesundheit zu ruinieren. Mit Hilfe einer lieben Verwandten konnten wir es einrichten, Unterstützungsstrukturen zu etablieren. Dann konnte ich endlich etwas zur Motherhood Lifetime Penalty schreiben. Und zwar unter der Rubrik Vermögensaufbau – denn es ist wichtig, alle Stellschrauben zu drehen, um Lücken in der Finanzbiografie auszugleichen.

 

Bitte immer schön anschlussfähig bleiben

 

Dieses Hinterherhinken kennen viele Frauen aus ihrem Erwerbsleben, wenn sie nach Familienpausen wieder versuchen, Anschluss im Beruf zu finden. Ich brauche dringend eine Perspektive, beruflich. Und möchte wieder neu anfangen, nochmal ganz neu. Ich bin 43 (...), ja die Zeit rennt. (...) Irgendwann findet man den Absprung nicht mehr. Das bewegende Porträt einer alleinerziehenden Mutter, das Ninja LaGrande für ZDF WISO aufgezeichnet hat, verdeutlicht, wie schnell Frauen wirtschaftlich an den Rand gedrängt werden können. Der rote Faden der eigenen Biografie findet sich nicht immer gleich. Und allen Audits, Selbstverpflichtungen und Hochglanzbroschüren von Unternehmen und Organisationen zum Trotz, sind es nach wie vor die glatten Erwerbsbiografien, die in den Personalabteilungen gern gesehen werden. Und natürlich muss der Habitus stimmen, wahlweise auch die soziale Herkunft. Deshalb habe ich mich sehr über den Beitrag von Alexandra Zykunov gefreut und stimme ihr zu 100 Prozent zu. Denn es ist klar:

»Finanzbildung und Lebenslage müssen zusammengedacht werden,

damit ein Schuh daraus wird.«

Eine sehr wichtige Frage fehlt mir allerdings. Nämlich, wer steht hinter den schicken neuen Initiativen zum finanziellen Empowerment von Frauen? Welche Zielgruppen werden angesprochen, welche Geschäftsmodelle liegen zugrunde, gibt es möglicherweise eine versteckte Vertriebsagenda? Auf der internationalen Konferenz des Instituts für Finanzdienstleistungen mit dem schönen Titel TransparenzRolle rückwärts oder Reform? bilanzierte Dr. Gerhard Schick, ehemaliger finanzpolitischer Sprecher der Grünen und Gründer der Bürgerbewegung Finanzwende, dass auch zehn Jahre nach der Finanzkrise 2008/2009 keine ethische Wende im Bereich der Finanzdienstleistungen in Sicht sei. Hat sich der Blick auf die Kundinnen und Kunden geändert? Haben Banken den Vertrauensverlust wettgemacht? Welcher Beratung kann man vertrauen? Wo liegt der Schlüssel für Veränderungen?

 

Das Thema Transparenz ist hier nach wie vor sehr wichtig. Das Perfide ist, dass die Transparenz auch bei vielen Angeboten zur Finanziellen Bildung fehlt. Sei es in Bezug auf Preismodelle und Kosten oder in Bezug auf ungenannte Kooperationspartner. Wer genau hinschaut, findet nicht selten schön verpackte, in einigen Fällen sogar verschleierte Vertriebsabsichten von Finanzdienstleistungsanbietern. Oder warum richten sich viele Angebote überwiegend an gut ausgebildete und finanzstarke Frauen? Weil mit den anderen kein Geld zu verdienen ist und sie sich nicht so gut vermarkten lassen. Wir finden für unsere Themen nicht ausreichend Gehör. So ist die Kinder- und Jugendarmut seit vielen Jahren ein ungelöstes strukturelles Problem in Deutschland. Jedes fünfte Kind wächst in Armut auf, vor allem in Einelternfamilien, auch dies Zahlen der Bertelsmann Stiftung. Finanzseminare für Alleinerziehende findet man in der neuen Angebotswelt aber nur bei sehr wenigen Initiativen, vorwiegend bei gemeinnützigen Organisationen.

 

Vor einiger Zeit hatte der Finanzrocker Daniel Korth den Finanzexperten Prof. Dr. Harmut Walz in seinen Podcast eingeladen. Der Verhaltensökonom Walz spricht Klartext, sein Urteil: im Finanzdienstleistungsmarkt sucht man Transparenz und Fairness vergebens. Es lohnt sich, hineinzuhören. Man muss eine Meinung nicht teilen, aber die Fähigkeit, verschiedene Geschäftsmodelle zu unterscheiden, ist essenziell für eigenverantwortliche Entscheidungen am Finanzmarkt. Diese Unterscheidungskompetenz ist inzwischen auch bei Bildungsangeboten erforderlich. Oft mangelt es an Preistransparenz – Preise werden nicht offen kommuniziert, sondern nur auf Anfrage genannt. Zudem gibt es Angebote, bei denen zunächst ein Akquisegespräch geführt werden muss, sodass Interessierte erst nach einem Verkaufsprozess den Preis erfahren.  Die Verbraucherzentralen warnen vor überhöhten und unseriösen Preisen. Solche Bildungsangebote, Coaching- und Mentoringprogramme, die Frauen eigentlich zur Selbsthilfe befähigen sollen, können gerade vulnerablen Verbrauchergruppen Schaden zufügen.

 

Auch entstehen immer mehr gekoppelte Bildungs- und Vertriebsangebote. Sie kommen auf Social Media unter dem Deckmantel des Empowerments und der Finanzbildung zum Vorschein und führen zu Robo-Advisor Angeboten oder Strukturvertrieben. Die Journalistin Judith Henke hat für das Investigativteam der WELT einen kritischen Artikel verfasst, der ein spezielles Programm für Frauen beleuchtet. Auch die ZEIT warnt vor rosa Finanzen. In meinem Buch Auf Kosten der Mütter habe ich diesem Thema ein ganzes Unterkapitel gewidmet, da es oft schwer zu durchschauen ist. Selbst Veranstalter, die mit Speakerinnen zusammenarbeiten, kennen die unterschiedlichen Geschäftsmodelle nicht immer genau. Ruft eine Speakerin ein niedrigeres Honorar auf oder geht sie bei der Vergütung viele Kompromisse ein, kann sich die Zusammenarbeit dennoch für sie lohnen – etwa, wenn sie im Anschluss durch den Verkauf von Finanzprodukten oder anderen Angeboten zusätzlich profitiert.

 

Finanzielle Bildung muss immer auch zum kritischen Denken befähigen, zum Hinterfragen ermutigen und in sozioökonomische Zusammenhänge eingebettet sein. Nicht zuletzt, um Frauen gleichermaßen für rückständige gesellschaftliche Strukturen und überholte Rollenbilder wie für die Funktionsweisen des Kapitalmarkts zu sensibilisieren.

 

Verantwortung ohne Rampenlicht

 

Finanzbildung für alle bedeutet, auch dorthin zu gehen, wo es manchmal unangenehm wird oder sogar weh tut. Wer mit arbeitslosen, alleinerziehenden Frauen arbeiten möchte, muss mit Tränen rechnen und umgehen können. Augenhöhe und Empathie wären auch nicht verkehrt. Wer Verantwortung für weniger Privilegierte übernimmt, wie wir es uns im Präventionsnetzwerk Finanzkompetenz zum Ziel gesetzt haben, steht damit nicht auf großen Bühnen und in hippen Locations. Das Thema Frauenarmut und erst recht präventive Bildungsangebote bleiben im Verborgenen – hier geht es auch um Scham und Angst.

 

Weil mit Fotos von vereisten Gefrierschränken, die auf Überforderung und finanzielle Not hinweisen, kein Blumentopf zu gewinnen ist, wie ein Beispiel der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz in einer Ausstellung zum Projekt Energiearmut verhindern zeigt:

Foto: Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz

Ja, es gibt sie – gemeinnützige Initiativen, die das Gemeinwohl im Blick behalten. Doch viele wertvolle Projekte bleiben unsichtbar, oft aus Mangel an Ressourcen, finanzieller Ausstattung oder schlichtweg Zeit. Hinzu kommt, dass unbequeme Themen lieber ignoriert als offen angesprochen werden. Wer nutzt seine Reichweite – und wofür? Wer zeigt Solidarität mit den 21,6 Prozent armutsgefährdeten Kindern und Jugendlichen (Stand 2023)? Wo sind Haltung und moralischer Kompass spürbar?

 

Es ist herausfordernd, mit Gruppen zu arbeiten, deren Zukunftsperspektiven so gering sind, dass es schmerzt. Über Geld zu sprechen ist eine wichtige Forderung – aber nur dann wirklich wirksam, wenn es um echte Ermächtigung geht. Dazu gehört auch, die blinden Flecken und dunklen Seiten unseres Wirtschaftssystems zu beleuchten und zu diskutieren.

 

Deshalb ist es entscheidend, die Debatte fortzuführen: Welchen Stellenwert hat Geld in unserer Gesellschaft, und welche wirtschaftlichen Grundlagen sollten in Schulen und Bildungsinitiativen vermittelt werden? Viel zu selten stehen existenzielle Sorgen bestimmter Gruppen im Fokus – Themen wie Ver- und Überschuldung, soziale Ungleichheit und Armut bleiben oft ausgeklammert. Ganz zu schweigen von der unbezahlten Fürsorgearbeit, die im Bruttoinlandsprodukt nicht erfasst wird.

 

Gerade deshalb ist finanzielle Bildung unverzichtbar – nicht nur, um die Qualität von Bildungs- und Beratungsangeboten besser einschätzen zu können, sondern auch, um Zielgruppen zu erreichen, die oft übersehen werden. Spezielle Angebote für weniger privilegierte Menschen, wie Geringverdienende oder bildungsbenachteiligte Jugendliche, sind selten und finden sich fast ausschließlich im gemeinwohlorientierten, caritativen oder ehrenamtlichen Bereich. Doch vielen kleineren Initiativen fehlt es an gesicherter Finanzierung, Anschlussprojekten oder den Ressourcen, um ihre Arbeit in die breite Öffentlichkeit zu tragen.

 

Selbst das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt CurVe des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung – Leibnitz-Zentrum für Lebenslanges Lernen zur Professionalisierung der Finanziellen Grundbildung ist bislang nur einer kleinen Community aus Fachkräften der Schuldenberatung und Bildungspraxis bekannt. Wenn ihr für soziale Träger, Behörden oder Bildungseinrichtungen tätig seid, könnt ihr das Curriculum Finanzielle Grundbildung kostenfrei in eurer eigenen Arbeit einsetzen. Die Materialsets zum Geld der Frauen habe ich mit dem CurVe Team entwickelt, sie stehen ebenfalls frei zur Verfügung.

 

In diesem Projekt habe ich tolle Frauen kennengelernt, u.a. die geschäftsführende Direktorin des iff Hamburg, Dr. Sally Peters. Die gewonnen Erkenntnisse setzen wir zusammen im Vorstand des Präventionsnetzwerks Finanzkompetenz um. Seit vielen Jahren richten wir ein gemeinsames Panel auf der iff-Konferenz aus. 

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