Karriere als Frau

Warum Kompetenz und gute Leistungen nicht ausreichen, um beruflich voll durchzustarten 

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»Seien Sie stolz, wir machen weiter«, so Bundesministerin Giffey beim Festakt zu 100 Jahre Frauenwahlrecht 2018 in Berlin. Der neue Herbstbericht (Okt. 2020) der schwedisch-deutschen AllBright Stiftung mit dem bezeichnenden Titel Entwicklungsland listet noch immer 58 von 160 Unternehmen auf, die sich einen Frauenanteil von null Prozent im Vorstand zum Ziel gesetzt haben. Obwohl internationale Studien längst gezeigt haben, dass der Unternehmenserfolg von diverser Führung und inklusiver Unternehmenskultur nur profitieren kann. Es ist gar nicht so einfach mit dem Stolz, wenn berufliche Wege versperrt bleiben und sich das lähmende Gefühl breit macht, ausgebremst zu werden.

Mit Leistung zum Erfolg?

Der Ausbau der Kinderbetreuung wurde vorangebracht, die Situation pflegender Angehörigen gestärkt, ein Rückkehrrecht zur Vollzeitbeschäftigung verankert, ein Auskunftsrecht für Gehaltstransparenz etabliert, eine Quote für Aufsichtsrätinnen eingeführt und Frauen empowern sich gegenseitig in Netzwerken. Warum geht es nicht mit größeren Schritten voran?

Meine These lautet, dass der Erfolg und die finanzielle Selbstbestimmung von Frauen in unserer multioptionalen und liberalen Gesellschaft noch immer mit Ressourcen und Privilegien verknüpft ist. Wer heute in Wirtschaft und Wissenschaft reüssieren will, muss frühzeitig anfangen, das eigene Profil zu schärfen, um den ungeschriebenen Regeln des selbstoptimierten Daseins Genüge zu leisten. 

Du kannst alles schaffen, was du willst! Diesen Leitspruch geben viele Eltern ihren Sprösslingen mit auf den Weg. Und wenn nicht? Ohne Selbstbewusstsein und festen Glauben an das eigene Können und die eigene Leistungsbereitschaft ist die Anschlussfähigkeit im modernen Berufsleben für Frauen und Männer schwerer geworden. New Work und die Digitalisierung haben die Arbeitswelt flexibilisierter und für nicht wenige auch prekärer werden lassen. Der Darmstädter Soziologe und Elitenforscher Michael Hartmann sieht auch heute den Habitus als zentrale Größe für den Aufstieg ins obere Topmanagement. Kompetenz und Leistung allein reichen ab einer gewissen Position in den Unternehmenshierarchien nicht aus, um höhere Stufen zu erklimmen.

Subtile Bewertungsmechanismen kommen ins Spiel

Für Hartmann steht hier an vorderster Stelle die Souveränität. Natürlich sind das Selbstverständnis und das Selbstvertrauen einer Kandidatin bzw. eines Bewerbers ein anderes, wenn bereits der eigene Vater ein politisches Amt bekleidete, die Mutter im Aufsichtsrat eines Unternehmens wirkte oder der Großvater ein eigenes Unternehmen aufgebaut hat. Arbeiterkinder, die es durch Bildungsanstrengungen weit gebracht haben, können hier kaum von Ressourcen zehren, sondern müssen sich subtile Ein- und Ausschließungsmechanismen erst bewusst machen – sprich, an ihrem Mindset arbeiten – und sich ihre Netzwerke mühsam selbst aufbauen. Selbstinszenierung on the edge, social media-like und instagramable? Die eigenen Erfahrungen und Erfolge können Treibstoff fürs weitere Vorankommen sein – ebenso ist es möglich, dass Deklassifizierungserfahrungen den Eintritt in eine berufliche Seitwärtsbewegung bzw. sogar in eine Abwärtsspirale bedeuten.

Dies trifft Frauen in besonderer Weise, da sie noch immer mehr Verantwortung für Fürsorgearbeit übernehmen und auch bei gleichwertigen beruflichen Positionen mehr unbezahlte Hausarbeit als ihre Partner verrichten. Wenn die Karrieren von Frauen ins Stocken geraten, suchen viele von ihnen die Schuld bei sich selbst, denn sie haben oft keine genaue Vorstellung davon, wie auch strukturelle Rahmenbedingungen dafür sorgen, dass Menschen beruflich ausgebremst werden.

Abgründe struktureller Diskriminierung

Waren Frauen am Beginn ihrer Laufbahn zu jung und unerfahren, sind sie vor der Familienpause auch im Jahr 2019 risikobehaftet und gelten anschließend als unflexibel, zu teuer oder bereits zu alt. Es bleibt nach wie vor ein Balanceakt, die Gunst der Stunde zu nutzen, um mit der Karriere durchzustarten und Frauen tun gut daran, die eigene Berufsbiografie niemals aus den Augen zu verlieren. Ihre Erwerbsverläufe hängen nicht nur mit persönlichen Ressourcen, Kompetenzen, Leistungen und Erfahrungen, sondern natürlich mit biografischen Entscheidungen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zusammen. Und weder in der Sozialversicherung noch im Denken von HR finden die Besonderheiten weiblicher Erwerbsbiografien angemessene Berücksichtigung.

In den »richtigen« Branchen und mit ausgewählten Bildungsabschlüssen stehen Frauen sehr viele berufliche Türen offen. Durchkreuzen kritische Lebensereignisse, wie eine Erkrankung oder ein Arbeitsplatzverlust die Lebenswege, beginnt die Uhr der beruflichen Topform aber rasch lauter zu ticken. Und kommen Frauen von der Bahn des Standard-Lebenslaufs ab, etwa durch Pflegeverantwortung für ein pflegebedürftiges Kind oder ein Elternteil, fallen sie schlimmstenfalls durch die Raster unternehmerischer Rekrutierungskriterien.

Streben nach Anerkennung

Dies gilt zumal für Spät- und Seiteneinsteigerinnen, denn sie hinken immer schon hinterher. Bei aller Durchlässigkeit der Schulsysteme sind bei einem Bildungsaufstieg aus der Arbeiterschicht die Kenntnis kultureller Codes, eine gewisse Leichtigkeit des Seins oder das selbstverständliche Streben nach höheren Positionen nicht per se gegeben. Im Gegenteil, hier gilt es immer wieder, sich zu bewähren und die eigene Legitimation und Anschlussfähigkeit unter Beweis zu stellen. Erste auf dem Gymnasium, erste an der Uni, erste in einer Führungsposition. Der eigenen Herkunft längst entwachsen, bleibt diese als imaginärer Schatten bei den Aspirant:innen und muss als Fessel eigenmächtig gelöst werden, um sich Anschluss an die nächste Stufe der Karriereleiter zu schaffen. Das Individuum erlebt »seine sozialen Differenzialgewinne (…) als absolute, ohne den strukturalen Zwang zu registrieren, der dafür sorgt, dass die Positionen wechseln, die Ordnung der Differenzen aber bleibt«, so der französische Philosoph und Soziologe Baudrillard (Springer VS 2015: 90). Initiativen wie Arbeiterkind.de, einer von Katja Urbatsch gegründeten Organisation, die Schüler:innen aus Familien ohne Hochschulerfahrung ermutigt, als erste in ihrer Familie zu studieren, setzen genau hier an und sind deshalb so wertvoll wie unverzichtbar auf dem Weg in eine gerechtere und von sozialer Mobilität gekennzeichneten Gesellschaft.

Ob die Audits und Hochglanzbroschüren zu Diversität und Familienfreundlichkeit also dem wahren Leben standhalten, macht heute den eigentlichen Wert eines zukunftsfähigen Unternehmens aus, zumal vor dem Hintergrund der Digitalisierung und des Fachkräftemangels.

Die prekären Arbeitsbedingungen wissenschaftlicher Laufbahnen sind allerdings keine wirkliche Alternative, wie das Beispiel der Lebens- und Berufsgeschichte einer angestellten Sozialpädagogin auf ihrem Weg zur Fachhochschulprofessur zeigt.

Auf dem Weg zur Professur nicht tot umfallen

 

Ariane ist Hauptverdienerin der Familie und stammt aus einer Nichtakademiker:innenfamilie. Neben einem 35 Stunden Job und einem Lehrauftrag von 8 Semesterwochenstunden – zu dem sie nach ihrem Brotjob 80 km einfach fährt –, promoviert sie extern an einer Uni. Die Voraussetzungen für einen Aufstieg in der Wissenschaft schildert sie so:

»Ausgezeichnete Promotion, 5 Jahre Berufserfahrung im grundständigen Beruf – möglichst mit Leitungserfahrung, (Fach-)Hochschulstudium im Beruf, in dem man Professorin werden möchte, (mehrjährige) Lehrerfahrung an einer Fachhochschule, Nachweis über Didaktik der Lehre und selbstredend Publikationen in einschlägigen Fachzeitschriften. Die Alternativen: sich eine eigene Familie verkneifen oder das eigene Pensum erhöhen. Aber vorher bitte nicht tot umfallen. Oder soll frau sich in ein Paralleluniversum beamen, in dem der Tag mehr als 24 Stunden hat?

Kein Arbeitgeber findet es toll, sich die Aufmerksamkeit der Mitarbeiterin mit einem Nebenjob oder eben einer wissenschaftlichen Arbeit teilen zu müssen. Wie oft habe ich gehört: Wir würden sagen, Sie konzentrieren sich auf den Job hier bei uns und lassen das andere, das bringt doch nichts. Oder: Sehen Sie, wenn Sie jetzt nicht an die FH müssten, hätten Sie Zeit für Ihr Kind. Warum sind Sie überhaupt Mutter geworden? Die ständigen Sticheleien – bis hin zum Mobbing, weil die Kolleg:innen mit diesen Ambitionen nicht umgehen können, das macht einen fertig.«

 

Werdet politisch

 

Wer weibliche Lebenswege betrachtet, muss einsehen, wie wenig die Divergenz von Anforderungen und Möglichkeitsstrukturen von Einzelfrauen begradigt werden kann – bis heute. Unterstützung, Inspiration und Ermutigung bieten Netzwerke, Mentoringprogramme, Social-Media und ungezählte Initiativen, wie das Elternblogger-Netzwerk Blogfamilia, die Initiativen Equal Pay Day und die Equal Care Day oder der Potsdamer Verein Frauen aufs Podium, der für politische Teilhabe wirbt. Auch große Karrieremessen wie women&work und herCareer schaffen nicht nur einen Rahmen zur Interaktion mit potenziellen Arbeitgebern, sondern bieten auch Wissensvermittlung, Networking und Angebote zur persönlicher Weiterbildung. Nicht zu vergessen die Arbeit der AllBright Stiftung, die auf den obersten Führungsetagen bereits größere Steine ins Rollen gebracht hat.

Heute ist die beste Zeit für die politische Partizipation von Frauen. Immer mehr Frauen solidarisieren sich, auch über Parteigrenzen hinweg, um ihresgleichen eine Stimme zu verleihen und sich gegenseitig zu unterstützen. Mögen auch weniger privilegierte Frauen nicht aus den Augen verloren werden. Gerade sie haben es verdient, dass ihre Lebensleistungen Anerkennung finden und aufgewertet werden.

 

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Veröffentlicht 28. Oktober 2019 im Business & She Magazin

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